Radolfzell, am 15. August 2013: Der Umweltrat Bodensee spricht sich entschieden gegen eine Änderung der gegenwärtigen Praxis aus, das Gewässer mit möglichst wenig nicht-natürlichem Phosphat zu belasten. Anders lautende Forderungen zur Förderung des Felchenwachstums widersprechen deutschem und europäischen Umwelt- und Naturschutzrecht.
Aktuell geäußerte Forderungen, der Bodensee solle mit mehr als der gegenwärtig zulässigen Menge von 0,3 mg/m³ Phosphat im Abwasser aus Kläranlagen belastet werden, sind nach geltendem Recht verboten. Eine Änderung dieser Praxis würde unweigerlich Klagen nach europäischem Umweltrecht nach sich ziehen. Für die im Vergleich zu anderen deutschen Gewässern stärkere Phosphatfällung gibt es gute Gründe. Halb Baden-Württemberg trinkt Wasser aus dem Bodensee. Allein auf deutscher Seite sind über 4,5 Millionen Menschen an die Bodensee-Wasserversorgung oder kommunale Entnahmestellen angeschlossen. „Nach einer aktuellen Studie zu den Ökosystemdienstleistungen des Bodensees von Global Nature Fund und der FH Rottenburg entspricht dies einer Wirtschaftskraft von mindestens 280 Millionen Euro, allein auf deutscher Seite. Die jährliche Wirtschaftskraft des Tourismus am Bodensee wird auf ca. 1 Milliarde Euro beziffert", erläutert Jörg Dürr-Pucher im Namen des Umweltrat Bodensee. Dem gegenüber stünden gut 4 Millionen Euro, die durch Fischfang (Bezugsgröße: 970 t in 2011) am Bodensee generiert werden.
Fachleute halten es für unwahrscheinlich, dass eine Erhöhung der Phosphatfracht aus den Kläranlagen kurzfristig zu schnellerem Wachstum der Felchen führen könnte. „Biologie funktioniert nicht über An-Aus-Schalter und ein See ist kein Rübenacker. Seen sind komplexe limnische Systeme, bei denen viele Phänomene nach wie vor nicht verstanden sind", sagt Marion Hammerl, Geschäftsführerin der Bodensee-Stiftung. Die Konstanzer Kläranlage z.B. reinige jährlich 0,15 Kubikkilometer Wasser. Bevor die 48 Kubikkilometer des Sees vor allem in den Tiefen, in denen Felchen leben, durch künstlich verschlechterte Reinigungsleistung von Kläranlagen ausreichend gedüngt wären, könnten anderenorts Prozesse ausgelöst werden, die nicht vorauszusagen sind.
Noch heute verstehen Wissenschaftler vieles nicht, was am Bodensee im vergangenen Jahrhundert zu beobachten war und warnen eindringlich vor einer Änderung des aktuellen Zustandes. Mehrere Milliarden Euro wurden seit den 1960er Jahren investiert, um den Bodensee in mehr als drei Jahrzehnten wieder auf den aktuellen Phosphatgehalt zu bringen, der einem natürlichen Zustand nahe kommt. Diesen Zustand, der nach katastrophalen Zuständen in den 1970er Jahren mit Algenteppichen und stinkenden Uferbereichen, teuer erkauft werden musste, technisch wieder rückführen zu wollen, ist absurd. Nicht geklärt ist auch die Frage, inwieweit die Fischer selbst durch das fast vollständige jährliche Abfangen der Felchenpopulation letztlich Fische im See gezüchtet haben, die langsamer wachsen. In anderen Gewässern Europas erreichen Felchen, dort auch Renken oder Maränen genannt werden, nicht die Größe wie im Bodensee.
Die Diskussion um einen geförderten höheren Phosphatgehalt im Bodensee stößt bundesweit bei den Mitgliedern des Netzwerkes Lebendige Seen Deutschland auf großes Unverständnis. Dieses Netzwerk hat das Ziel, den Schutz der Seen und Feuchtgebiete in Deutschland zu fördern und Überdüngung ist an vielen deutschen Seen nach wie vor ein drängendes Thema. „Der Bodensee gilt in einigen Aspekten als positives Beispiel dafür, was mit einem konkreten Aktionsplan erreicht werden kann", sagt Thomas Schaefer, Koordinator des Netzwerkes Lebendige Seen Deutschland. „Würde man den Forderungen der Fischer nachgeben, würde der Bodensee zu einem einzigartigen Beispiel für absurdes Management".
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